You begin to wonder why you came – Resümee des ersten Halbjahres

„Meine Motivation für den internationalen Freiwilligendienst fußt auf dem gemeinnützigen Engagement, das durch ein ausgewogenes Geber-Nehmer-Verhältnis einen interkulturellen Austausch ermöglicht.“ (Zitat aus meiner 1. Spendenmappe)

Warum engagiere ich mich gemeinnützig in Uganda? Können die Ugander nicht einen größeren Gemeinnutzen generieren als ich? Nur warum engagieren sich die Ugander dann nicht? Das einzige, was ich habe, ist Geld. Wie soll das Verhältnis dann gleichberechtigt und ausgewogen sein, wenn ich eben das habe, was den Leuten fehlt, um selbst Freiwilligenarbeit zu verrichten, und die Welt beherrscht? Umgekehrt gefragt: Wenn nur Ugander ugandische Probleme lösen können, was mache ich dann hier? Ist die deutsche Gesellschaft nicht multikulturell? Ist der interkulturelle Austausch nicht in Deutschland möglich? Ich bin kein Entwicklungshelfer, mein Freiwilligendienst wird aber vom Bundeministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert. Ich will diese Rolle nicht aufgezwungen haben. Aber ich kann nichts dagegen machen. Ich bin der, der auf dem Rücken der anderen lernt, dem aber gesagt wird, er entwickle sie. Habe ich diese Stelle eigentlich berechtigt bekommen? Kann jeder Jugendliche in Zeiten des Klimawandels einen internationalen Freiwilligendienst in absolvieren? Wie elitär ist es, etwas unqualifizierterweise zu tun, wobei man weiß, dass es nicht jeder machen kann und wenn es jeder fairerweise täte, man die Welt damit in den Abgrund stoßen würde? Schon grotesk, dass ich mir all dem erst in Uganda bewusst werde. Noch grotesker, wenn man nicht weiß, ob man für oder gegen das ist, was man tut und noch ein halbes Jahr tun wird.

Meine Projekte laufen wunderbar. Am 3.2. ging das neue Schuljahr los, wobei die Schüler erst im Laufe der Woche in der „School for the Deaf“ eintrafen. Dabei kam es zu einer Premiere: Erstmals wurde auf den gebauten Schachbrettern mit den angelieferten Figuren gespielt.

Die von den Schülern gebauten Schachbretter waren nach den Ferien erstmals im Einsatz.

Am Alltag in meiner Hauptseinsatzstelle, der „School for the Deaf Ntinda“, hat sich nicht viel geändert: Vormittags findet der Sportunterricht statt, nachmittags Informatik; weiterhin unterstütze ich jeden Mittwoch die Schwimm-AG.

In den Ferien sind mir einige neue Projektideen eingefallen: Das Schachprojekt werden wir durch Dame ergänzen, da es eine geeignete Vorstufe darstellt. Als Steine werden wir Deckel von Flaschen verwenden, nach zwei Tagen hatten wir 510 Deckel gesammelt. Weiterhin möchte ich Moskitonetze für die Schlafsäle bereitstellen, da sich diese nicht alle Schüler leisten können. Vom 8. zum 12.2. fand das Zwischenseminar meiner Entsendeorganisation statt, auf das ich später noch genauer eingehen werde. Dabei wurden u.a. Projektideen bzw. bereits umgesetzte Projekte thematisiert, wobei der Vorschlag des Bäume pflanzen genannt wurde. Ich denke, in Zeiten des Klimawandels kann jeder Mensch irgendwie tätig werden, das Pflanzen von Bäumen ist dabei ein einfacher wie effektiver Ansatz.

Noch vor Anfang der nächsten Ferien, die im Mai starten, soll der sports day am 4.4. stattgefunden haben, gemeinsam ausgerichtet von der „School for the Deaf Ntinda“ und der „St. Miriam Duggan Primary School“, der Einsatzstelle meiner Mitfreiwilligen Mia und Elias. Dabei wird es mehr um das Mit- als das Gegeneinander gehen, wobei verschiedene Team- und Minispiele, wie Dosenwerfen, Seilspringen, ringwerfen, etc., gespielt werden. Daher werden wir im Sportunterricht versuchen, neue Teamspiele zu implementieren, die dann beim sports day gespielt werden können.

Beim Informatikunterricht ist das Problem, dass bei einer Klassengröße von ca. 24 Schülern und 2 Wochenstunden nur 12 Schüler das Computerkabinett wöchentlich betreten können, weil sechs Computer funktionieren. Somit hat ein Schüler in einem Intervall von drei Wochen zwei Informatikstunden, wobei es für mich schwierig einzuschätzen ist, ob ich Inhalte so vermittle, dass sie zwei Wochen später noch abrufbar sind.

Allerdings haben wir nun sieben gebrauchte Laptops bekommen, sodass für theoretisch 13 Schüler ein PC bereitstünde. Allerdings ist es nicht möglich, dass wir zu viert (Paula, die 2 via-Freiwilligen und ich) dreizehn Schüler individuell betreuen. Was Abhilfe schaffen würde, wäre ein Beamer, sodass Themenkomplexe an der Leinwand vorgezeigt würden und man nur die Schüler unterstützen müsste, die Probleme bei der Umsetzung haben. Weiterhin wollen wir die Schüler selbst mehr in den Unterrichtsprozess einbeziehen: Schüler, die den Stoff verstanden haben und anwenden können, sollen denen helfen, die noch Schwierigkeiten bei der Anwendung haben.

Was den Schwimmunterricht betrifft, ist es mein Ziel, den beiden ältesten SchülerInnen bis zu meiner Abreise im August das Brustschwimmen beizubringen.

Die bisherigen Monate haben mich definitiv bewusster, demütiger und bescheidener werden lassen. Es ist ein großer Unterschied, nur von einer anderen Kultur oder Lebensweise zu lesen oder sie zu erleben. Als Freiwilliger genießt man einen Lebensstandard, der weit über dem Landesdurchschnitt ist, ohne dafür adäquate Arbeit zu leisten. Dadurch kann ich bspw. mit dem Bus nach Tansania fahren, was für die meisten Ugander nicht ohne Weiteres möglich ist. Dieses Thema hatte ich schon einmal angeschnitten, aber die Einsicht, dass meine gute Lebenssituation daraus resultiert, in Deutschland geboren worden zu sein, ist zum einen simpel, zum anderen erschütternd und enttäuschend, wenn nur darauf meine Lebenssituation beruhen sollte. Ich denke, ich weiß es nun mehr wertzuschätzen, mit genügend materiellem Besitz ausgestattet zu sein. Schulbildung, Hobbies, Klassenfahrten, Handys, Fitnessstudiomitgliedschaft, Mobilität und Konsum: All diese Bereiche meines Lebens hatte ich nie wirklich hinterfragt bzw. hatte sie stets als selbstverständlich angesehen, ohne mit der Kehrseite dieses Standards vertraut zu sein. So hat sich zum einen eine große Dankbarkeit in mir entwickelt, für das Aufwachsen in einem behüteten Elternhaus, das mir alle Wünsche erfüllen konnte, aber auch für das Leben in einem Sozialstaat, in dem die Familie nicht abwägen muss, ob man eher die Schulgebühren der Tochter oder die Therapie des Onkels bezahlt. Zum anderen versuche ich, minimalistischer zu leben, indem ich meine Ausgaben auf Nahrung und die nötigsten Anschaffungen, wie Putzmittel o. Ä., beschränke.

Als Freiwilliger verdient man durch Kinder- und Taschengeld, das die Entsendeorganisation zahlt, im Monat ca. sechs mal so viel wie eine Lehrkraft, was natürlich unfair ist. Ich denke, dass nachhaltige, gesellschaftsverändernde Maßnahmen nur von Bewegungen oder Regierungen innerhalb eines Landes getroffen bzw. angestoßen werden können. Für den Einzelnen ist meiner Meinung nach das Unterstützen von Nichtregierungsorganisationen trotzdem sinnvoll, um Schulbesuche von Kindern zu ermöglichen, Moskitonetze oder Medikamente bereitzustellen oder Ernährungsprogramme zu unterstützen, um nur einige Maßnahmen zu nennen. Ich bin kein Entwicklungshelfer, sehe aber im Unterstützen anderer bzw. Anschieben eigener Projekte eine sinnvolle Unternehmung. Deswegen werde ich in den restlichen sechs Monaten meines Auslandsjahres 10 Prozent meines Einkommens an eine gemeinnützige Organisation spenden.

Nach dem, was ich erlebt und erfahren habe, ist das Leben nicht so gestresst und hektisch wie in Deutschland, wodurch auch ich gelassener geworden bin. Unpünktliches Erscheinen oder der Moment, wenn irgendetwas nicht funktioniert, wird nicht als Katastrophe angesehen. Der Schreiner der „School for the Deaf“ erzählte mir einst von einem Urlaub in London, wobei es für ihn unverständlich war, zu sehen, wie Menschenmassen gehetzt durch die Straßen eilen. An diese Gelassenheit ist meiner Meinung nach eine große Hilfsbereitschaft und Offenheit geknüpft, die nach meinen Erfahrungen quantitativ öfter vorkommt als in Deutschland.

Weiterhin bin ich disziplinierter, eigenständiger und selbstbewusster geworden, was vor allem daher kommt, dass die Erkenntnis, selbst für mich sorgen zu können, sehr kraftvoll ist. Seit Dezember schreibe ich Tagebuch und meditiere täglich, sodass ich in diesen Momenten der Ruhe bzw. der Reflexion Veränderungen meiner Stimmungen bzw. meiner Lebensweise noch bewusster erleben kann.

Ich komme mit meinen Mitbewohnern gut klar, Probleme können ehrlich angesprochen werden. Allerdings fehlt mir die persönliche Bindung zu einem Soulmate sehr, mit dem ich Gedanken und Emotionen teilen kann und bei dem ich den Eindruck habe, ihn beschäftigen ähnliche Dinge wie mich. Das Wohnen in einer WG hat natürlich den Vorteil, stets von Leuten umgeben zu sein, denen man sich zuwenden kann. Allerdings besteht auch darin der Nachteil, dass man nicht wirklich integriert, sondern isoliert lebt, weil eben meine Mitfreiwilligen mein Umfeld dominieren bzw. die Personen sind, mit denen ich am meisten Kontakt habe.

Weiterhin fehlt mir die Herausforderung der Schulzeit, durch meine Haupttätigkeit jeden Tag mit neuen Problematiken, Fragen oder intellektuellen Aufgaben konfrontiert zu sein. In der „School for the Deaf“ kommt Letzteres eher nicht vor. Momentan interessieren mich die Ansätze bzw. Visionen ugandischer Schriftsteller, Intellektueller und Wissenschaftler sehr, weil im ganzen „Entwicklungszusammenarbeitsdiskurs“ fast ausschließlich über Uganda, aber kaum mit Ugandern oder über ihre Ideen geredet wird. In diesem Kontext wünsche ich mir, in einen breiteren bzw. tiefgründigeren Austausch über solche Themen zu treten.

Ist es mir gelungen, in einen Austausch mit Einheimischen zu treten? Was die Kontaktherstellung angeht, sicherlich: Der Ugandische Gebärdensprachkurs, das Lernen der Sprache Luganda, die Gehörlosengemeinschaft und das Leben mit einer Gastfamilie generieren einen großen Austausch mit Einheimischen. Allerdings ist nicht nur mein Wissen über bspw. ugandische Zukunftsvisionen oder Politikmodelle, sondern auch der Austausch darüber. Das möchte ich gern ändern.

An den Punkt anknüpfend, dass mir momentan die Aneignung von Wissen bzw. die Konfrontation mit Herausforderungen fehlt, erwäge ich, einen weiterführenden Gebärdensprachkurs zu beginnen. Somit würde zum einen der Austausch mit den Schülern der „School for tthe Deaf“ auf ein höheres Level gehoben und zum anderen würde es mir die Möglichkeit erschließen, noch stärker an der Gehörlosengemeinschaft teilhaben zu können.

In der Schulzeit wurde mir stets von anderen gesagt, welche Aufgaben ich zu erledigen habe. Das ist nun natürlich anders; ich kann mir diese Herausforderungen selbst suchen. Allerdings trägt dies nicht nur eine große Freiheit, sondern auch die Gefahr in sich, dass ich einem Trott verfalle, in dem man Alltagsmuster unkritisch normalisiert und sich auf Erreichtem ausruht, anstatt täglich neue Herausforderungen zu suchen. Es hängt stets davon ab, wie meine Gemütslage ist. Als wir zum Beispiel im November in der Schule die Schachbretter gemeinsam bauten, war ich von Sinn erfüllt, glücklich, habe viel gelesen und jeden Tag aktiv genutzt. Direkt danach schlug meine Stimmung in das Gegenteil um: Anfang Dezember, als die Ferien starteten, fühlte ich mich antriebslos, unmotiviert, sodass diese lethargischen Tage fast ungenutzt verstrichen. Nach einem persönlichen Hoch folgt fast immer ein Tief, wie nach dem Urlaub in Tansania, als sich der Alltagstrott erneut einschlich und ich die Tage recht unmotiviert verbrachte. Ich bin mir über dieses Auf und Ab bewusst, habe aber kaum die Möglichkeit, es zu beeinflussen.

Aus politischer Sicht ist mir die Tragweite des Klimawandels und die wahnwitzige Rolle von Regierungen bzw. Firmen aus dem globalen Norden noch klarer geworden. Ich war mit meinen Eltern in Nordwestuganda, im Murchison Falls Nationalpark, dem größten Ugandas. Leider wurde dort Öl gefunden, das ab 2021 gefördert werden soll. Uganda deckt ca. 90 % seines Energiebedarfs durch erneuerbare Energien, wird aber zuerst vom Klimawandel betroffen sein, obwohl es ihn nicht verursacht. Trotzdem entschied man sich, Förderverträge mit verantwortungsvollen Firmen, wie Tullow Oil aus Irland oder TOTAL aus Frankreich, zu unterzeichnen, die zufälligerweise nicht einmal öffentlich einsehbar sind. Durch die Förderung von Erdöl wird nicht nur die Umwelt zerstört, sondern im Falle vieler afrikanischer Staaten auch die soziale Stabilität, wie die Beispiele von Südsudan, Angola oder Nigeria zeigen.

Bau einer Straße im Murchison Falls Nationalpark, die der baldigen Förderung des dort gefunden Öls dient.

Die Afrikapolitik Deutschlands ist nicht weniger befremdlich: Trotz der Stellung als stärkster Wirtschaftsmacht in der EU und der Besetzung wichtiger Verwaltungsposten hält man weiter an regressiven Freihandelsabkommen fest, die afrikanischen Staaten ihre Handelspolitik aufoktroyieren, Viehzüchtern und Kleinbauern durch subventionierte Agrarexporte ihre Lebensgrundlage entziehen und es den Ländern Afrikas nahezu unmöglich machen, die auf ihren Territorien befindlichen Rohstoffe selbst zu verarbeiten. Trotz alledem betont man immer wieder, dass ein verantwortungsvolles und freundschaftliches Verhältnis das Ziel der deutschen Kooperation mit afrikanischen Staaten sei.

Im Kontext des Holocausts sieht deutsche Verantwortung so aus, diesen Völkermord als solchen bezeichnet und konsequenterweise Reparationen entrichtet zu haben. Für die genozidale Niederschlagung von Aufständen in Deutsch-Südwest- und Südost-Afrika verweigert die BRD bis heute beides. Eigentlich kann man so ein Vorgehen nur durch rassistische Denkmuster legitimieren. Nur bleibt dabei die angestrebte verantwortungsvolle Beziehung auf der Strecke.

Desillusioniert: Dieses Adjektiv beschreibt meine Gefühlslage bzgl. dieses Themenkomplexes am treffendsten. Aber erst das Absolvieren meines Freiwilligendienst hat mich über diese Missstände bewusst werden lassen. Rassistische Denkweisen waren bzw. sind tief und subtil in meinem Denken verankert, was mir am meisten am „Entwicklungshilfediskurs“ auffiel. Bis Anfang 2019 war es für mich eine normale politische und nachvollziehbare Denkweise, die Welt in „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Länder einzuteilen, Kredite an afrikanische Staaten an brutale Gegenleistungen zu knüpfen und Gesellschaften nach wirtschaftlichen Kennzahlen, wie dem BIP, Wachstumsraten und der Inflation, abzuurteilen. So als ob das Leben eine Leistung wäre. Obwohl keines dieser genannten Kriterien Ausschlag gibt über Glück, Verwirklichungschancen, soziales Wohlbefinden, also all das, was das Leben lebenswert macht, war ich Verfechter dieses Bewertungsmaßstabes. Auch das Nichthinterfragen von Worten, wie „Schwarzafrika“, oder das Annehmen, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eigentlich fast dasselbe sind, habe ich erst in Uganda oder durch das Befassen mit Themen, wie Kolonialismus, Rassismus und „Entwicklungspolitik“, verworfen. Die bisherige Zeit in Uganda war, was mein Weltbild sowie Politik- und Bildungsverständnis betrifft, ein Kahlschlag.

Diese Erkenntnis kam mir spätestens beim Zwischenseminar, das meine Entsendeorganisation, vom 8. zum 12.2. in der Nähe von Kampala ausrichtete. Dabei ging es vor allem um Themen, wie Kolonialismus, Rassismus, Kritik an weltwärts und Freiwilligendiensten. Diese Schwerpunkte wurden bereits in den beiden Seminaren behandelt, die mich in Deutschland auf mein Auslandsjahr vorbereiteten. Allerdings haben sich meine Ansichten zu denselben Themen stark geändert, wenn sie nicht sogar ins Gegenteil umgeschlagen sind. Zu meiner Freude gab es bei dem Zwischenseminar auch Diskussionsrunden mit einem ugandischen Anwalt, einer Studentin und meinem Projektmanager Jonas über Politik, sodass wir eben nicht nur über Uganda bzw. Ostafrika, sondern auch mit Ugandern sprachen. Außerdem wurden das Leben in der WG, bisherige Erfahrungen in den Projekten sowie Ziele für die kommenden sechs Monate und wie man differenziert bzw. differenzierter in einem Blog berichtet, thematisiert. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich nicht den Anspruch vertrete, eine komplett differenzierte Berichterstattung abzulegen. Ich beschreibe alles aus meiner Sicht, weshalb ich nicht deklariere, objektiv zu schreiben.

Alle Freiwilligen des ASC Göttingen aus den Ländern Uganda, Ruanda und Tansania mit einigen Vorfreiwilligen und unserem Projektkoordinator Ingo. Das Zwischenseminar fand in einem Hotel am Ufer des Viktoriasees statt.
Es gab eine Diskussionsrunde in Form einer Talk Show zu den Themen Freiwilligendienste, Entwicklungszusammenarbeit und Neokolonialismus, wobei vier Freiwillige die Rolle der Gesprächsteilnehmer einnahmen: Ein tansanischer Schulleiter, ein Vertreter der Nichtregierungsorganisation „No White Saviors“, die vor allem die Heroisierung weißer Freiwilliger als Retter kritisiert, ein weltwärts-Freiwilliger (ich) und eine Vertreterin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, vertreten durch meine Mitfreiwillige Ivie, auf dem Foto rechts)). Der Entwicklungsminister heißt Gerd Müller, so könnte seine Frau theoretischerweise Laura Müller heißen, die das BMZ bei der Diskussionsrunde vertritt. Allerdings ist Laura Müller die Freundin von Michael Wendler. Daher die Namensgebung für die Talkshow. Ich hoffe, ich konnte diesen Zusammenhang verständlich erklären; und wenn nicht…..

Aber Spaß beiseite: Die wichtigste, aber gleichzeitig auch niederschmetterndste Erkenntnis dieses Zwischenseminares ist, dass es keine moralische Legitimierung für meinen Freiwilligendienst gibt. Beim ASC Göttingen, meiner Entsendeorganisation, gab es auf knapp 90 Plätze für meinen Jahrgang ca. 120 Bewerbungen, sodass man schon zu 75 Prozent angenommen war, ohne überhaupt ein Wort beim Auswahlseminar gesagt zu haben. Ein Freiwilligendienst im Ausland hört sich ja nach einer recht elitären Unternehmung an, für die nur ein kleiner Teil der Bewerber in Frage käme, die auch noch einen schwierigen Auswahlprozess durchlaufen müssten. Allerdings ist all das bei meinem Freiwilligendienst nicht der Fall gewesen.

Ich bin kein Entwicklungshelfer, habe aber das Privileg, an einer Schule eigene Projektideen umsetzen zu können. Der Grund, wieso das nicht jugendliche UganderInnen machen können, ist der Mangel an Geld. Während dieses Freiwilligendienstes bin ich derjenige, der am meisten lernt und sich vieler Dinge klar wird, wie ich in diesem Blogeintrag ausführlich beschrieben habe. Es ist nicht mein Anspruch, solch eine Geisteswandlung bei meinen Schülern zu generieren. Mir wurde durch den Kontakt mit ihnen und allen anderen Menschen, auf die ich in Uganda traf, extrem viel gegeben, wobei ich nur wenig zurückgeben konnte. Ich lerne also auf dem Rücken der anderen. Das ist der erste Grund, weshalb es eigentlich unmöglich ist, ein „ausgewogenes Geber-Nehmer-Verhältnis“ zu erreichen. Der zweite Grund ist das Geld. UganderInnen als Freiwillige an ugandischen Schulen würden viel mehr bezwecken als deutsche. Ihnen fehlt aber das Geld dafür. Wie soll etwas gleichberechtigt sein, wenn ich das habe, was ich brauche, um meine Wünsche umzusetzen, mein Gegenüber aber nicht?

Es gibt zwar die Süd-Nord-Komponente des weltwärts-Programmes, das bspw. einem Menschen aus dem globalen Süden ermöglicht, in Deutschland einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Allerdings findet dieser Austausch nicht im selben Umfang wie der Einsatz von deutschen Freiwilligen im globalen Süden statt. Zudem müssen die Freiwilligen aus dem globalen Süden denselben Eigenanteil stemmen wie die deutschen: ca. 2300 Euro. Das ist natürlich extrem ungerecht und macht es automatisch den meisten Jugendlichen aus Uganda fast unmöglich, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Nur zum Vergleich: Das Durchschnittsmonatseinkommen in Uganda beträgt etwa 35 $, das verfügbare Nettoeinkommen in Deutschland ca. 1350 Euro. Wer wird es wohl sehr schwer haben, 2300 Euro zu sammeln?

Aber das ist nicht der eigentliche Punkt. In Zeiten des Klimawandels kann es sich die Weltgemeinschaft nicht leisten, jeden Schulabgänger per Flugzeug durch die Welt zu schicken, damit dieser in anderen Ländern auf dem Rücken anderer Menschen lernen und Erkenntnisse gewinnen kann. Es ist aber sehr elitär, eine Handlung unqualifizierterweise auszuführen, obwohl man weiß, dass sie nicht jeder ausführen kann, obwohl dies nur fair wäre. Täte es aber jeder, würde man den Klimawandel recht gut beschleunigen.

Darum ist es elitär von mir, diesen Freiwilligendienst zu absolvieren. Ich war mir des moralischen Rahmens nicht bewusst und hätte ihn auch gar nicht erfassen können, als ich mich dafür bewarb. Ich kann diesen Freiwilligendienst nicht einwandfreien Gewissens absolvieren und würde mich jemand bzgl. wetwärts bzw. meines Auslandsjahres fragen, wüsste ich momentan nicht, ob ich dafür oder dagegen argumentieren sollte.

Wie soll ich aber etwas aus tiefster Überzeugung und mit Leidenschaft tun, wenn ich weiß, dass ich in sechs Monaten gehen werde, und wenn ich aus mir selbst keine schlüssige und moralisch einwandfreie Motivation für mein eigenes Handeln schöpfen kann?

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